Warum es wichtig ist, sich auf Konflikte einzulassen
Gehörst du auch zu denen, die Konflikten lieber aus dem Weg gehen? Vielleicht aus Sorge, es könnte sonst eine wertvolle Beziehung - beruflich oder privat - zerbrechen? Oder aus einem Gefühl heraus, dich zu blamieren, wenn du starke Gefühle zeigst? Vielleicht stellst du deine Perspektive und dein Handeln schnell in Frage, sobald ein Konflikt im Spiel ist? Vielleicht erlebst Du Dissonanz vor Allem als anstrengend und mühsam?
Irgendwie stimmt es ja auch: Konflikte sind wirklich anstrengend. Streit, Spannungen, Missverständnisse - wem gefällt das schon? Manch einer kennt Konflikte, die seit Jahrzehnten anhalten, die zu schmerzhaften Beziehungsabbrüchen geführt haben, zu Gefühlen von Einsamkeit und Verlassenheit, selbst wenn die andere Person sich im selben Raum befindet.
Lass uns herausfinden, warum es dennoch wichtig sein kann, sich auf Konflikte einzulassen.
Die inneren Konflikte
Die Tiefenpsychologie befasst sich von Haus aus mit inneren Konflikten. Der sogenannte neurotische Konflikt ist das Urthema der Tiefenpsychologie/Psychoanalyse. Dabei handelt es sich um verschiedene Seiten in uns, die scheinbar widersprüchliche Strebungen verfolgen. Zum Beispiel: Ein Teil, der sich wünscht, endlich wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Und ein anderer Teil, der nichts schlimmer findet als im Mittelpunkt zu stehen. Oder auch: Ein Teil, der das eigene Begehren frei und ohne Selbstverurteilung ausleben möchte. Und ein anderer Teil, der das eigene Begehren bekämpft und verabscheut.
Eine Aufgabe von Psychotherapie und psychodynamischem Coaching ist es, solche inneren Konflikte mitzudenken und einer Bearbeitung zugänglich zu machen.
Interessanterweise können sich innere Konflikt auch im Außen widerspiegeln: Wenn wir einen Teil, den wir an uns selbst verurteilen - und verdrängen - in einer anderen Person bekämpfen. Auf gesellschaftlicher Ebene wird es zum Beispiel deutlich an der Gewalt gegenüber schwulen Männern - zur Abwehr eigener homoerotischer Neigungen.
Die Bösen sind wenn, dann die anderen - oder?
Wir können also schon einmal festhalten: In zwischenmenschliche Konflikte mischen sich auf die eine oder andere Art auch immer innere Konflikte der beteiligten Personen.
Die meisten ahnen es: Es tut so gut, den anderen zum Bösewicht zu erklären. Dann können wir uns selbst moralisch sicher und in unserer Empörung absolut gerechtfertigt fühlen. Und die Dinge erscheinen dann so schön einfach - statt so unendlich kompliziert und komplex, wie wir es schon aus genügend anderen Lebensbereichen gewohnt sind.
Einerseits, andererseits…
Wäre es da nicht leichter, sich nur mit solchen Menschen zusammen zu tun, die gut zu uns passen? Mit Menschen, die wir als gut empfinden, die unsere Werte, Ansichten, Einstellungen teilen?
Einerseits, andererseits…
Wann und wo immer Menschen zusammenkommen, treffen unterschiedliche Meinungen, Bedürfnisse und Werte aufeinander. Das sollten wir aushalten und aushandeln können, anstatt uns immer mehr in unsere sicheren Blasen zurück zu ziehen und alles, was sich unterscheidet, zu missachten. Nur so ist Entwicklung möglich – von Individuen, Organisationen und ganzen Gesellschaften.
Andererseits brauchen wir Gemeinschaften, in denen wir uns - so wie wir sind - akzeptiert und aufgehoben fühlen. Gerade auch um uns von den Konflikten zu erholen, denen wir uns in anderen Bereichen vielleicht häufiger zu stellen haben.
Dennoch: Es bleibt wichtig, sich auch mit Menschen zu umgeben, die auf den ersten Blick nicht gut zu einem zu passen scheinen. Denn die geteilten Werte, über die sich alle so einig sind, beschreiben womöglich nur eine oberflächliche Übereinstimmung. Darunter könnten große Dissonanzen lauern, die ausgeblendet oder gar nicht erst erkannt werden.
Menschen, die so anders erscheinen, erweisen sich vielleicht - wenn du sie erst einmal näher kennenlernst - als dir sehr viel ähnlicher, als du anfangs gedacht hättest. Und es wäre schade, diese tief reichenden Erfahrungen und Begegnungen zu verpassen.
Konflikte in Teams
Es gibt keine Zusammenarbeit in Gruppen, die frei von Konflikten ist. Die Frage ist also nicht: Wie konfliktfrei können wir arbeiten? Sondern: Wie gut gelingt es uns als Team, Konflikte konstruktiv auszutragen und kreativ nutzbar zu machen?
Es mag seltsam klingen, aber Konflikte - wenn sie einmal überwunden sind - setzen eine Menge Energie frei, die ohne sie nie zustande gekommen wäre. Das liegt daran, dass unbewusste Ängste, die vorher hemmend wirkten, sich auflösen. Dass die ganze Energie, die vorher für Ärger und Wut aufgebaut wurde, nun frei daliegt und für das eigentliche Projekt genutzt werden kann. Und dass ein gemeinsam überwundener Konflikt die Beziehungen der Mitglieder zueinander stärkt. Der Zusammenhalt im Team wächst. Der vertiefte Austausch mit anderen führt zu neuen Ideen und einem tieferen Verständnis des ‘Problems’.
Fazit
Ich lasse mich zu folgender Behauptung hinreißen: Konflikte sind eine unabänderliche Zutat menschlicher Existenz und menschlichen Zusammenlebens.
Die Entwicklung der Menschheit, ebenso wie die individuelle Entwicklung, findet immer entlang von äußeren und inneren Konflikten statt.
Dabei hängt die Qualität der Entwicklung, unseres Zusammenlebens mit uns selbst und mit anderen, nicht davon ab, wie viele Konflikte sich ereignen, sondern in welcher Art und Weise diese ausgetragen werden.
Was möchte ich dir als Individuum mitgeben?
Hab keine Angst vor Konflikten. Arbeite an deiner Fähigkeit, die damit einhergehenden, schwierigen Gefühle auszuhalten. Vertraue darauf, dass meistens auch die anderen an einer Lösung interessiert sind. Suche dir solche Gemeinschaften, in denen Konflikte möglichst zivilisiert ausgetragen werden.
Last but not least: Gib gut auf dich Acht und erlaube dir, jenen Konflikten aus dem Weg zu gehen, die sich nicht mehr zivilisiert oder konstruktiv anfühlen.