Retten oder nicht retten - Überlegungen eines psychodynamischen Coaches

Ein Austausch unter Coaches

Vor ein paar Wochen tauschte ich in einem Café mit einem von mir sehr geschätzten Kollegen über unsere Arbeit als Coaches aus. Wir hatten gerade das vorletzte Seminarwochenende am POP-Institut Düsseldorf e. V. abgeschlossen und waren schon angefüllt mit den Erlebnissen dort.

Während wir bei Tee und Gebäck an einem Tisch gegenüber der Ladentheke saßen, kamen wir schließlich auf einen Fall von ihm zu sprechen, den er im Verlauf unserer Coaching-Weiterbildung bereits mehrmals vorgestellt hatte. Ein recht komplexer Fall, in dem es um eine große Organisation mit jahrzehntelanger Unternehmensgeschichte geht, deren Markt sich in den kommenden 2 Jahren radikal verändern wird. So wie das Unternehmen heute aufgestellt ist, wird es dann nicht mehr überleben können. Der Gründer der Organisation hat sich vor nicht allzu langer Zeit aus seiner Machtposition zurückgezogen und sie an seinen Sohn abgegeben. Es wurde außerdem eine neue CEO eingestellt.

Es stehen also radikale und schmerzhafte Umstrukturierungen an - in einem Ausmaß, dass genau genommen von einer Verwandlung gesprochen werden müsste. Wenn die geschafft ist, wird das Unternehmen von heute nicht mehr existieren. Es wird stattdessen ein neues, völlig anders gestaltetes Unternehmen an seine Stelle getreten sein.

Verwandlung und Selbstzerstörung

Was macht eine solche Verwandlung so schmerzhaft? Ich würde sagen: Eine Verwandlung ist immer auch eine Selbstzerstörung. Ohne das Alte in sich abzulegen und loszulassen, kann das Neue nicht entstehen. So wie das für Individuen gilt, gilt es auch für Gruppen und Organisationen.

Doch das Alte abzulegen, sich selbst zu zerstören, um neu geboren zu werden - wem, der es tun musste im Leben, ist das jemals leicht gefallen? Ich würde sogar behaupten, dieser Prozess ist so schmerzhaft, dass manche ihn nicht überleben. Ganz sicher ist er nicht zu bewältigen, für Einzelne oder eine Organisation, die ganz auf sich allein gestellt sind.

Insofern hat die Organisation eine gute Entscheidung getroffen, als sie meinen erfahrenen Coaching-Kollegen engagierte - freilich ohne damals schon genau formulieren zu können oder sich bewusst gemacht zu haben, welchem Prozess sie sich tatsächlich gegenüber sieht.

Die verführerische Retter-Rolle

Meinem Kollegen, der zum Zeitpunkt unseres Café-Gesprächs bereits einige Arbeit mit der Organisation geleistet hatte, passierte es nun immer wieder, dass er sich in der Rolle wiederfand, das Unternehmen retten zu müssen.

Ein klassisches Gegenübertragungsgefühl, das viel über das Ausmaß der Verzweiflung der Verantwortlichen und Mitarbeiter:innen im Unternehmen aussagt.

Gefährlich wäre es, wenn es ihm nicht gelänge, zu diesem Gefühl innere Distanz herzustellen. Denn niemand anderes, als das Unternehmen selbst, kann das Unternehmen retten. So wie kein Psychotherapeut der Welt einen Patienten retten kann.

Retten zu wollen, ist ein narzisstisch aufgeladener Wunsch, die Sehnsucht danach, für jemanden oder eine Gruppe von Menschen eine ganz besondere Rolle zu spielen und dadurch an persönlicher Bedeutsamkeit zu gewinnen.

Containing statt Retten

Als psychodynamische Coaches, ebenso wie als Psychotherapeuten, ist es dagegen unsere Aufgabe, Organisationen und Klient:innen durch ihre Herausforderungen hindurch zu begleiten. Ihnen zur Seite zu stehen. Die schwierigen Gefühle, die in ihnen ausgelöst werden, gemeinsam mit ihnen auszuhalten. Sie nicht allein zu lassen, sondern gemeinsam mit ihnen nachzudenken und herauszufinden, welchen Weg sie gehen können, um gut für sich zu sorgen und ihre Ziele zu erreichen. Der Psychoanalytiker Bion erfand für diese Art zu arbeiten den Begriff: Containing.

Fazit

Unsere Aufgabe als psychodynamische Coaches besteht also nicht darin zu retten, sondern - wenn man so will - Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Nur so können Klient:innen und Organisationen wichtige Entwicklungsschritte gehen. Nur so geraten sie nicht in eine ungesunde Abhängigkeit von uns. Das Ziel muss ja sein, dass sie bald wieder gut ohne uns auskommen.

Würden wir sie retten, wären sie bei der nächsten Herausforderung genauso überwältigt wie bei der ersten und müssten gleich wieder an unsere Tür klopfen.

Meinem Coaching-Kollegen habe ich das erklärt - so wie auch er mir schon vieles geholfen hat zu verstehen. Es war auch an diesem Nachmittag ein für uns beide bereichernder Austausch.

Wertvoll sind solche Gespräche, die helfen, Distanz zur eigenen Arbeit herzustellen und wieder einen klareren Blick auf den Prozess und all das unbewusste Material zu entwickeln.

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