Übertragung und Gegenübertragung - was ist das?
In der Beziehung zwischen Klient:in und Therapeut:in/Coach können mitunter intensive Gefühlslagen ausgelöst werden, die wichtige Rückschlüsse auf grundlegende Erlebnisweisen des Klienten erlauben. Eine Stärke der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist es, mittels des - ursprünglich von Sigmund Freud entwickelten - Konzeptes der Übertragung und Gegenübertragung, sich diese zunächst unbewussten Vorgänge zunutze zu machen.
Der Begriff der Übertragung beschreibt das unbewusste Erleben des Klienten gegenüber Therapeutin/Coach. Dieses Erleben ist durch frühe Erfahrungen zu bedeutsamen Bezugspersonen, meist den Eltern geprägt und enthält tief verwurzelte Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche. Meine Aufgabe ist es, Dir zu helfen, einen Zugang zu diesem zunächst unbewussten Erleben zu finden, damit Du besser unterscheiden kannst zwischen Deinem subjektiven Erleben einer Situation und anderen möglichen Perspektiven auf dieselbe Situation.
Ein Beispiel: Ein Merkmal meiner Vorgehensweise als Psychotherapeutin ist es, für Sitzungen keine festen Themen vorzugeben und - zunächst einmal - wenig bis gar keine Fragen zu stellen. Dies hat auf manche Patienten verständlicherweise anfangs eine verunsichernde Wirkung, denn es bringt sie in Kontakt z. B. mit Ihren Ängsten vor Abwertung, mit Wünschen zu gefallen, ‘ein guter Patient’ zu sein, mit dem Gefühl, dass schon wieder jemand sich nicht für sie interessiert usw. Dies wäre eine erste Übertragung, die ein Patient auf mich als Therapeutin haben kann und die durch mein Vorgehen überhaupt erst sichtbar und für den Patienten spürbar wird. Meine Aufgabe ist es dann natürlich, mit dem Patienten darüber ins Gespräch zu kommen, damit die Übertragungen verstanden und auf frühere Erfahrungen ebenso wie Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft bezogen werden können.
Übertragungen liefern damit einen wichtigen Hinweis auf:
Unverarbeitete schmerzhafte Erfahrungen von Klient:innen, die sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung hemmen und zu schwerwiegenden Symptomen (Psychotherapie) oder Entwicklungs-Hemmungen auf organisationaler Ebene (Business Coaching) führen können.
Hoffnungen und Wünsche der Klient:innen seine Zukunft betreffend, z. B. erfüllte Beziehungen, in denen sie sich wertgeschätzt und verstanden fühlen können.
Der Begriff der Gegenübertragung beschreibt das teils unbewusste Erleben der Therapeutin/ Coach gegenüber Klient:innen. Meine Aufgabe ist es dabei zunächst einmal, die professionelle von der persönlichen Gegenübertragung zu trennen. Denn ich reagiere natürlich immer auch mit meiner persönlichen Geschichte auf Situationen, in denen ich mit Klient:innen wiederfinde und sollte hiermit keinesfalls leichtfertig umgehen. Dies immer wieder zu reflektieren und an meiner kritischen Auseinandersetzung mit mir selbst stetig zu arbeiten, betrachte ich als eine meiner Kernaufgaben als Therapeutin und Coach. Meine persönlich gefärbten Wünsche, Erwartungen, vielleicht auch Aggressionen sollte ich gegenüber meinen Klienten nicht ausleben, da ich sie sonst für persönliche Interessen instrumentalisieren würde.
Die professionelle Gegenübertragung dagegen gibt mir wertvollen Aufschluss über das Unbewusste meiner Klient:innen. Eine klare therapeutische Haltung bietet mir den nötigen Rahmen, um intensive Gegenübertragungsgefühle zuzulassen, ohne ihnen ausgeliefert zu sein.
Ein Beispiel: Im Verlauf einer Therapie fällt mir auf, dass ich mit einem Klienten immer wieder die Sitzung um mehrere Minuten überziehe. Ich möchte dem näher auf den Grund gehen und analysiere, was in diesen Momenten in mir vorgeht. Dabei fällt mir auf, dass ich zum Ende jeder Sitzung ein schlechtes Gewissen habe, den Klienten ‘wegschicken’ zu müssen. Nachdem ich meine persönlichen Übertragungsaspekte aussortiert habe, frage ich mich, was es mit dem Klienten zu tun haben könnte. Hier ein paar (vereinfachte) Ideen:
Der Klient fühlt sich einsam und wünscht sich mehr Unterstützung, kann dies aber nicht offen ansprechen, aus Angst, anderen zur Last zu fallen.
Der Klient, der in seiner Kindheit emotionale Vernachlässigung erlitten hat, hat eine große Sehnsucht danach, für jemanden eine besondere Rolle zu spielen und wünscht sich deshalb, dass ich ihm mehr Zeit zur Verfügung stelle, als meinen anderen Klienten.
Der Klient hat Schwierigkeiten anderen Grenzen zu setzen, aus Sorge, diese könnten sich abgelehnt fühlen. Dadurch entsteht der Wunsch nach Kompensation durch mich.
Nun kann ich mit dem Klienten ins Gespräch kommen und fragen, ob er meint, das dieses oder jenes auf ihn zutreffen würde. So finden wir gemeinsam Zugang zu tiefer liegenden Erlebnis- und Verhaltensmustern. Der Klient vertieft sein Verständnis für sich selbst und entwickelt neue Handlungsperspektiven für ähnliche Situationen im Alltag.